In den Pyrenäen 6(7)

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Montag, 21.06.10: Auf dem Col du Tourmalet

Heute ist mein Tag. Der Tag, auf den ich etliche Jahre warten musste. Der Tag, an dem wir den berühmtesten aller Pyrenäenpässe, den ebenso populären wie berüchtigten Col du Tourmalet fahren. Und das auch noch bei nahezu wolkenlosem Himmel. Es ist nicht der höchste Pass in den Pyrenäen, das ist der Port d’Envalira in Andorra, den wir vorgestern gefahren sind, aber es ist der berühmteste, einer mit Weltruf!

Wir fahren exakt nach Norden, Richtung Bielsa. Vor drei Monaten bekam ich noch eine Mail vom Hotel, das mich darauf aufmerksam machte, dass dieser Tunnel genau in dieser Woche gesperrt sein würde. Aber wir haben riesiges Glück!!! Die Arbeiten am Tunnel begannen ein paar Tage früher, so dass er heute bereits fertig ist. Das erspart uns einen sehr großen Umweg!

Wir fahren das Tal des Rio Cinca hinauf. Puh, noch ganz schön kalt hier. Das Thermometer fällt sofort unter 8°. Nach bereits eine knappen halben Stunde und 44 km sind wir am Tunnel, der auch gleichzeitig die Grenze zwischen Spanien und Frankreich markiert. Im Tunnel sind es sogar nur 2°, die tiefste Temperatur des ganzen Urlaubs! Aus dem Bielsa-Tunnel herauskommend liegt das Paradies vor uns! Keine Menschenseele, nur Berge mit "grünem Samt" überzogen, ein paar idyllische Schafherden, denen die Kälte zumindest teilweise auch was ausmachen dürfte, denn etliche Schafe waren schon geschoren. Die frieren dann, daher kommt auch der Begriff "Schafskälte". Wir schießen ein paar traumhafte Fotos dieser genialen Landschaft. Ein paar Galerien säumen die fabelhafte Straße, deren Kurven sich wirklich sehen lassen können.

Ab dem Skiort Arragnouet folgen wir dem engen Flusstal weiter nach Norden. "La Neste d’Aure" ist ein wunderschönes, sehr idyllisches Dörfchen, durch dessen kleine Gässchen wir ein paar Runden drehen und Fotos schießen. Aber noch besser gefällt uns das Dörfchen Arreau. Hier beginnt nun die "Pässeschlacht". Als erstes geht es den fast 1.500 m hohen Col d'Aspin hinauf. Die Landschaft ist tief beeindruckend.
 

 

Die Routen über Col d’Aspin und Col du Tourmalet ist sehr gut ausgeschildert, die würde man auch ohne Navihilfe finden. Und an jedem km dieser Pässe steht ein Schild mit folgenden Informationen, wohl hauptsächlich für die Radfahrer, die sich hier auch heute in Massen tummeln:

  • Momentane Höhe
  • Entfernung zur Passhöhe
  • Momentane Steigung der Straße
  • Höhe am obersten Punkt der Strecke
     

Zunächst ist der Aspin sehr grün, könnte fast im Schwarzwald liegen, bald geht es aber noch höher, es wird alpin, und man sieht die vielen Zwei- und Dreitausender, die sich hier befinden. Der markanteste Berg um uns herum ist der Pic du Midi de Bigorre (die Mittagsspitze!) mit 2.872 Metern Höhe. Der ist mit seiner weißen Kuppe (vermutlich Frischschnee, der wie im Benasque-Tal erst gestern fiel) wie gemalt und daher ein tolles Fotomotiv. Leider sind schon sehr viele Touristen hier, so dass ständig irgendwelche Holländer oder Franzosen mein Motiv kaputtmachen. Bis zum heutigen Tag stand der Aspin fast 70 Mal auf dem Programm der Tour de France. Weiter unten treffen wir dann auf den Ort Sainte-Marie-de-Campan. Hier beginnt nun der Aufstieg auf den Tourmalet.
 

2010: 100-jähriges Jubiläum der Tour de France in den Pyrenäen mit doppeltem Tourmalet

Im Jahr 1910 war die Tour de France erstmals in den Pyrenäen. Seit dieser Zeit wurde sie zu einem festen Bestandteil des schwierigsten Radrennens der Welt. Im Wissen um die damalige Strecke wurden in 2010, hundert Jahre später (!), wieder gleich zwei Teilstücke der Tour in diese Region gelegt. Die letzte aller 4 Pyrenäen-Etappen endet in 2010 als Bergankunft direkt auf dem Col du Tourmalet. Das gab es erst ein einziges Mal, im Jahre 1974.

Knapp unterhalb der Passhöhe des Tourmalet, in dem Wintersportörtchen "La Mongie" (was sich schon irgendwie nach Essen anhört!) speisen wir zu Mittag. Wir finden ein schönes Straßenrestaurant mit sehr schmuckem Interieur und sehr serviceorientierten Menschen. Das Motorrad hat gerade noch Platz in der für Autos gesperrt Straße, in der viele Gastronomen ihre Außenbereiche mit Tischen und Stühlen haben. Eine Stunde genießen wir das Mittagessen, die Sonne und den phantastischen Ausblick. Nach der Pause sind es nur noch wenige Meter bis zur Passhöhe. Ein paar Schafe säumen den Weg, eine Sesselliftanlage und sogar etwas Schnee am Straßenrand weisen darauf hin, dass das im Winter ein veritabler Wintersportort ist.

Oben dann die Überraschung: Die Abfahrt auf der anderen Seite ist gesperrt - offiziell jedenfalls und ohne jeden Hinweis. Ich bekomme einen ordentlichen Schrecken! Geht mein Plan nun doch den Bach hinunter? Aber ich beobachte immer wieder Fahrradfahrer, die kräftig pustend von der gesperrten Seite hier oben ankommen. Und auch Motorradfahrer kommen von unten - nur keine Autos! Ich frage einen gerade ankommenden Biker, ob die Strecke fahrbar ist, und zu meiner großen Erleichterung bejaht er meine Frage, allerdings mit der leichten Einschränkung, dass man vorsichtig fahren müsse. Na ja, wenn's nicht mehr ist! Also machen wir uns auf, die Westseite des Passes hinunter zu fahren. Einiger Kuhmist liegt noch auf der Straße, das ist nicht so schön. Überhaupt sind viele Straßen nicht im allerbesten Zustand. Immer wieder ganz frisch mit Split gestreut, das sieht mehr nach Flickschusterei als nach richtigem Straßenbau aus. Aber diese Baustelle hier soll wohl noch fertig werden, bevor der Tross der Tour de France hier in Kürze hochkommt.

Nach dem Tourmalet, unten in dem schicken Örtchen Luz-Saint-Saveur machen wir einen Abstecher in die Sackgasse des Cirque de Gavarnie. Das ist ein riesiger Fast-Zweitausender, über den die Grenze zu Spanien verläuft und der das Tal in einem weiten Halbrund komplett verschließt wie ein Staudamm. Die "Wand" steigt etwa 1.500 m über dem Boden empor. Fast eine Stunde genießen wir die Bergwelt. Leider müssen wir aus Zeitgründen darauf verzichten, die Gavarnie-Fälle zu besuchen, das sind die höchsten Wasserfälle in Europa. Aber dafür genießen wir die auch fahrerisch einiges hergebende Sackgasse zurück nach Luz-Saint-Sauveur.

Der Col du Soulor ist der nächste der großen Pässe. Er ist 1.474 m hoch und sieht aus wie ein ganz "normaler" Alpenpass. Er könnte auch in A, CH oder Italien sein, da gibt es keinen sichtbaren Unterschied, was übrigens für alle hohen Pässe gilt. Wir befinden uns, nebenbei gesagt, laut einigen Schildern auf der "Route du Fromage", also der Käseroute. Wie gern hätten wir das eine oder andere Stück probiert! Aber unsere Tour hat noch ein paar km. Auf der 1.709 m hohen Passhöhe des Col d’Aubisque ist noch allerhand los. Sogar ein kleines Hotel gibt es hier. Ein paar Riesenfahrräder von etwa 3 m Höhe erinnern an die häufige Überfahrt der Radrennfahrer der TdF. Die Straße bei Gourette kurz vor Laruns ist komplett in Bau. Mein Motorrad tut mir richtig leid. Ein toller Wasserfall kann da auch nur wenig trösten. Von Laruns, dem Städtchen, ab dem wir wieder südlich fahren müssen, sehen wir nur ein paar Dächer, weil wir vorher links abbiegen müssen, wieder Richtung Spanien. Aber trotzdem nehmen wir hier in einem kleinen Straßenbistro noch einen ziemlich guten Kaffee ein.

Die nun folgende Straße D934 von Laruns Richtung Süden, den Pourtalet hinauf, ist ein weiteres echtes Highlight des Tages. Enge Schluchten, ein kleiner Gebirgsbach und die der Schlucht folgende Straße bilden nochmals einen landschaftlichen Hochgenuss. Plötzlich fahren wir auf eine gigantische Betonwand zu! Es sieht aus, als versperre sie das komplette Tal, aber es ist nur die Staumauer des kleinen Lac de Fabrèges, einem kleinen Stausee. Auch auf dem Pourtalet lassen wir uns nicht viel Zeit. Der Rückweg ist noch 100 km lang, und es ist inzwischen bereits 18 Uhr geworden.

Bei Biescas sehen wir eine alte Brücke, die sich malerisch über den Fluss spannt. Manche nehmen das wörtlich: Hier sitzt nämlich gerade ein Maler und hält die bereits tief in der Abendsonne liegenden Brücke in einem Ölgemälde fest. Wir fahren auch kurz über die Brücke und treffen - nicht zum ersten und vor allem nicht zum letzten Male - die stilisierte Muschel des Jakobsweges. Was nun folgt, ist die absolute Idealstraße zum Motorradfahren: Die Strecke zwischen Biescas und Torla. Geniale Oberfläche, breit, übersichtlich und ohne Autos! Es ist schlicht das Motorradparadies. In Torla begegnen wir dem riesigen Felsbrocken des Gavarnie ein zweites Mal - diesmal von der anderen, der südlichen Seite. Sagenhafte 8 Stunden haben wir gebraucht für eine Luftlinienentfernung von gut 10 km.

Von Torla sind es immer noch knapp 50 km, und wie gestern schon "ziehen sich" diese letzten km. Hier ist es auch schon wieder flach, so dass es nicht einmal landschaftlich besonders toll ist. Und zu allem Überfluss ist auf der direkten Verbindung nach Labuerda ein schwerer Unfall mit Rettungshubschrauber und Komplettsperrung passiert. In solchen Momenten "liebe" ich mein Navi. Kurz geschaut, ob es eine Alternative gibt - und tatsächlich: Fast parallel zur Hauptstraße fahren wir an der Sperrung vorbei. Um kurz nach 20 Uhr sind wir - nach ziemlich genau 11 Stunden - wieder im Hotel. Das waren recht anstrengende 380 km heute. Aber sehr, sehr schöne!!! Von 2° in der Früh im ersten Teil der Tourmalet-Route bis zu 25° hinter dem Pourtalet-Pass am Abend war heute alles dabei.
 

Dienstag, 22.06.10: Weiterreise nach Navarra

Um 10 Uhr, nach einem gemütlichen Frühstück fahren wir los zur nächsten Lokation. Zunächst sehr kleine Straßen, wir kommen nur langsam voran. Es geht bis auf knapp 1.300 m Höhe, das alles geht mit dem Anhänger "im Rücken" natürlich nicht ganz so schnell. Auf der etwas größeren "roten" Straße geht es dann flotter voran, mit 100 km/h. Immer wieder taucht das grandiose Pyrenäensüdpanorama vor uns auf. Da es quasi "am Wegesrand" liegt, statten wir dem Kloster "San Juan de la Pena" bei Jacca einen Besuch ab. Dieses Berggebiet wurde schon 1920 zum Landschaftsschutzgebiet ernannt. Während der arabischen Invasion in Spanien zogen sich im 8. Jahrhundert mehrere Einsiedler hierher zurück und lebten in einer losen Gemeinschaft. Im Jahre 920 n.Chr. wurde das Gebiet von Galindo Aznárez II. erobert, der an dieser Stelle ein kleines Kloster erbauen ließ, das dem Heiligen Julian geweiht war. Aus dieser Zeit ist nur eine kleine mozarabische Kirche erhalten geblieben. "Mozaraber" nennt man die christlichen Bewohner des durch Araber beherrschten Spanien. Im 11. Jahrhundert dann ließ Sancho von Navarra über dieser Stelle das Kloster San Juan de la Peña bauen. Im Lauf der Zeit kamen verschiedene Klöster und Kirchen dazu. 1675 brannte das Kloster ab, so dass an einem in der Nähe gelegenen Ort das neue Klostergebäude errichtet wurde.

Im Kloster San Juan de la Peña ist nicht nur laut Legende der heilige Gral verwahrt worden, sondern man findet im Innern auch einen großartigen romanischen Kreuzgang sowie eine Gruft der Könige Aragoniens. Das barocke neue Kloster war reich ausgestattet und mit vielen Nebengebäuden angelegt. Durch den spanischen Unabhängigkeitskrieg und die Säkularisation ist heute von den Gebäuden nicht mehr viel übrig. Deshalb wurde 1889 das alte Kloster zum Baudenkmal erklärt.

Gegen 14 Uhr sind wir im Hotel. Hier spricht der Mann an der Lobby sehr passables Englisch. Nach 2 Stunden machen wir den ersten Ausflug, zum Anfangspunkt des offiziellen Teils des Jakobswegs. Wer sich für Einzelheiten dieses sagenumwobenen Weges, des Camino Francès interessiert, der möge hier weiterlesen.
 

 

 

Unser erster Weg führt uns über 33 km nach Roncesvalles, der Station 2 des Jakobswegs. Wir stellen fest, dass es "nur" ein Kloster und eine Übernachtungsmöglichkeit für Pilger ist, aber kein "richtiges" Dorf. Deshalb gibt es hier auch nicht so wahnsinnig viel zu sehen. Also fahren wir kurzerhand noch einmal 30 km weiter gen Norden an den Anfangspunkt des Camino - nach Saint-Jean-Pied-de-Port (= "Heiliger Johann am Fuße des Passes") - und erleben eine Überraschung! So karg wie uns eben noch Roncesvalles erschien, so lebenslustig, so bunt und gleichzeitig so historisch kommt St. Jean daher. Und obwohl es bereits 18 Uhr ist, herrscht hier noch reges touristisches Treiben. Das gesamte Dorf lebt von der Jakobslegende - unglaublich!

Saint-Jean gehört zum französischen Baskenland und liegt direkt an der Grenze zu Spanien. Es ist nur 75 km von der spanischen Stadt Pamplona sowie 50 km vom Atlantik entfernt. Die Stadt ist ein wichtiger Ort am Jakobsweg und gleichzeitig die letzte Station auf französischem Boden. Der Pilgerweg setzt sich dann im Camino Francés fort.

Die Altstadt beiderseits der beiden Flüsse ist immer noch von einer Stadtmauer umgeben. Wer von Nordosten kommt, besucht die Stadt durch das Jakobus-Tor, das seit 1998 ein Teil des Weltkulturerbe der UNESCO ist. Innerhalb der Mauern verläuft die "Rue de la Citadelle" und präsentiert Häuser, deren älteste im 16. Jahrhundert gebaut wurden. Und noch immer gibt es hier die traditionellen Herbergen aus rosa bzw. grauem Sandstein für die Pilger.

Ein tolles Städtchen! Wirklich sehr niedlich anzusehen. Auch die Brücken über die beiden Flüsse sind wie aus einem Märchenbuch entnommen. Auf dem Rückweg halten wir nun doch noch einmal etwas ausführlicher in Roncesvalles an. Wir laufen einmal die Klostermauern entlang und machen einige Fotos. Tatsächlich findet gerade eine Messe statt. Kurze Zeit nehmen wir daran teil. Draußen sehen wir viele Pilger, die mit ihren Rucksäcken hier herumlaufen, sich den begehrten Stempel, den Beweis, dass sie den Camino auch gelaufen sind, abholen und dann auch noch die Messe besuchen. Das war ein schöner und intensiver Tag - und gleichzeitig unsere erste "richtige" Auseinandersetzung mit dem Jakobsweg.
 

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