Khayelitsha
Am letzten Nachmittag unserer Südafrika-Reise lernen
wir nun auch noch die andere, die Schattenseite Kapstadts kennen. Wir fahren
in das Township
Khayelitsha. Schon der Name dieser Region, "Wetlands" - also Moor, weist
darauf hin, in welcher Landschaft wir uns nun befinden. Ein Klick auf diesen
Google-Earth-Link zeigt, wo wir genau hingefahren sind. Selbst am
heimischen PC bekommt man
eine vorsichtige Ahnung davon, wie es in diesem Township aussieht und welche
Größe es hat.
Allein sollte man sich
insbesondere als Weißer nicht hinein trauen, sagt Amora, man könne sich
nicht einmal ein Taxi dorthin bestellen. Sie erzählt von einem neuen
Projekt, deren erste Besuchergruppe wir heute seien - wenn wir mögen. In
diesem Projekt lernen die Bewohner, sich selbst zu managen, eigene Projekte
zu kreieren und auch durchzuführen. Das Projekt ist nur für jüngere Bewohner konzipiert und
Familien mit Kindern, also keine Menschen im "Rentenalter". Der "Bürgermeister", der uns
mit einer kleinen Delegation in gut verständlichem
Englisch empfängt, ist gerade mal 35 Jahre alt. Seine Abordnung - ich nenne
sie jetzt mal so - wirkt sehr positiv auf uns, sie sind allesamt sehr
ordentlich gekleidet, besser als einige Urlauber in unserer Gruppe. Alle
sind sichtlich angespannt und machen den Eindruck auf uns, dass ihnen
am Gelingen dieser Aktion etwas liegt.
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Im Einzelnen sehen wir folgende "Teilprojekte":
- Kanufahrten:
Wir haben es nicht ganz genau verstanden, aber in diesem
Teilprojekt werden wohl Besucher auf den in der Nähe
liegenden Kanälen mit Booten gefahren.
- Bistro:
Wir werden eingeladen, frisch gebackenes Brot zu essen.
Etwas mulmig war uns schon, aber wir waren auch voller
Neugier, wie dieses Brot wohl schmeckt. Wir fanden es zwar nicht besonders würzig, vielleicht so ähnlich wie
italienisches Brot, aber so frisch gebacken war es
ganz hervorragend.
- Lebensmittelladen:
Man kann Kartoffeln kaufen sowie Obst und Gemüse und ein
paar andere Basics. Eine Teilnehmerin unserer Gruppe kauft
einen Beutel Kartoffeln, den sie dann zwei Straßen weiter
wieder verschenkt hat. Schöne Geste.
- Kindergarten:
Ein Ort für Kinder ab 6 Monaten Lebensalter, aber nicht für
jeden! Das war eine Überraschung! Nur berufstätige Eltern
können ihre Kinder hier kostenlos zwecks Betreuung abgeben.
Das passt zusammen mit unserer Erfahrung von gestern: "Keine Leistung ohne
Gegenleistung"!
- Auto-Waschanlage:
Hier ist reine Handarbeit angesagt. Autos werden von Hand
gewaschen und getrocknet. Für umgerechnet 2 € (wenn ich mich
recht erinnere). Wir schauen
eine Zeitlang zu, wie das so abläuft. Grob gesagt: Eine
Person arbeitet, 10 andere stehen oder sitzen drum herum und
schauen zu. Das soll nicht vorwurfsvoll oder
westlich-überheblich klingen, sondern es beschreibt einfach
diese Situation!
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Video
Khayelitsha
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Weitere Eindrücke:
- Wenn wir "Bistro" schreiben oder "Lebensmittelladen",
dann darf man sich das nicht so vorstellen, wie es bei uns ist. Vielmehr
betritt man eine Wellblechhütte, die weder richtige Türen noch Fenster
hat. Innen gibt es meist nur einen Raum, manchmal auch zwei, das ist
dann der private Bereich. Im "Bistro" durften wir auch den
privaten Bereich betreten. Vorsichtig und mit einem Gefühl von Demut
betreten wir einen stickigen Raum mit mehreren Menschen, die auf alten
Sesseln und einem Sofa sitzen/liegen und fernsehen. Ein (geschätzt) 40
Zoll Flachbildschirm hängt an der Wand und flimmert vor sich hin. Ein
Erwachsener spielt mit seinem Handy.
- Da fragt man unweigerlich, woher kommt
dieser Widerspruch? Keine Kanalisation, keine Toiletten in den Hütten,
kein fließendes Wasser, dafür aber Autos, nicht wenige Mercedes, oft SUV's,
sowie Flachbildschirme an Satellitenanlagen und Mobilfunktelefone in der
Hand. Fast jede Hütte hat eine Sat-Antenne auf dem Dach. Wie passt das
zusammen?
- Amora erklärt uns, dass es auch Hütten mit WC
und Abfluss gibt. Gesehen haben wir aber keine.
- Später im Bus fragen wir Amora, was sie glaubt, woher
dieser Widerspruch kommt.
Ihre Antwort in Kürze:
Die Kultur der Bevölkerung stünde ihnen im Wege. Ihre Denke sei ungefähr
so: Wenn mein König gut ist, bin auch ich gut. Und mein König
ist gut. Es reicht, wenn sich der König
anstrengt. Dann wird alles gut. Ich selbst muss mich nicht anstrengen,
denn mein König sorgt ja für mich. Man dürfe auch einigermaßen sicher
sein, dass der größte Teil der afrikanischen Migranten diese kulturellen
Vorstellungen und Prägungen mit nach Europa nähmen und dementsprechend
leben würden. Hier ist es dann eben "Königin Merkel" oder "König Macron",
die/der für sie "sorgt".
Eine persönliche Anmerkung:
Wenn diese kulturelle Einstellung auch nur halbwegs stimmt - und es gibt
keinen ernsthaften Grund, daran zu zweifeln
- dann wundert es uns überhaupt nicht, dass Südafrika nicht auf die
Beine kommt. Und vermutlich ist das in allen afrikanischen Staaten so oder so
ähnlich. Zumindest in Ghana ist das exakt genau so, das wissen wir aus
erster Hand von unserer Tochter, die dort ein paar Monate als
Entwicklungshelferin gearbeitet hat. Unsere Hoffnung ist deshalb gering,
dass Afrika jemals wirtschaftlich richtig auf die Beine zu kommt - dabei
ist es ein an Bodenschätzen reicher Kontinent, und es steht fast überall
kostenlos und unbegrenzt Sonnenenergie zur Verfügung. Und wenn
seine Fruchtbarkeit
nicht nachlässt, dann steht zu befürchten, dass Afrika eines Tages komplett
übervölkert sein wird und niemals aus dem Schatten eines Entwicklungslandes heraustreten
kann.
- Zehn Kirchen gibt es hier in Khayelitsha, alles
christliche Konfessionen.
- Der Preis für diese "Besichtigung" liegt mit 150 €
für 2 Personen zwar erheblich über dem, was das objektiv wert ist, aber
wenn dieses Geld bei den Menschen dort vor Ort direkt und unmittelbar
ankommt, ohne in irgendwelchen Gassen zu versickern, dann soll es uns
das absolut wert sein. Und in der Tat, später im Township sehen wir, wie Amora
einen eingesammelten Betrag von rund 1.500 € an den Projektleiter
übergibt. Toll, dass sie das in unserem Beisein macht.
- In Deutschland wurde Khayelitsha übrigens in 2005 einer größeren
Öffentlichkeit durch die Opernverfilmung "U-Carmen" bekannt. Der
Film
U-Carmen beruht auf der Bizet-Oper "Carmen", die Handlung spielt jedoch
in Khayelitsha. Der Gesang ist in Xhosa, die Musik Bizets wird durch Xhosa-Traditionen ergänzt.
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Sonntag, 14.02.16: Kapstadt und Weiterflug nach Dubai
Heute Mittag gegen 13:30 Uhr hebt unser Flieger nach Dubai ab. Wir haben
also noch etwas Zeit für einen letzten Spaziergang in Südafrikas
"Drittel-Hauptstadt". Denn Exekutive, Legislative und Judikative sind in
Südafrika in verschiedenen Städten beheimatet: Pretoria im Nordosten,
Kapstadt im Südwesten und Bloemfontein in der Mitte des Landes. Die
Regierung hat also ihren Sitz in Pretoria, das Parlament tagt alternierend mit Pretoria alle 6 Monate hier in Kapstadt.
Amora speichert ununterbrochen Zahlen und Fakten aus, ich kann das alles gar
nicht so schnell mitschreiben, um es hier wieder zu geben. Wir sehen aber
noch einmal das alte Rathaus, vor dem Mandela am 11. Februar 1990
unmittelbar nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis seine berühmte Rede
gehalten hat. Ein wahrhaft historischer Ort. Seit 1979 tagt die
Stadtverwaltung im neuen Rathaus. Dieses alte hier ist heute Konzertsaal und
Stadtbücherei. Es hat vor allem wegen der oben erwähnten Rede einen extrem
hohen Stellenwert in der Bevölkerung.
Anschließend unternehmen wir einen ausgiebigen
Spaziergang durch den Botanischen Garten mitten in der Innenstadt, der hier
"The Company's Garden" heißt. Dieser Garten war mal ein Obst- und
Gemüsegarten. Davon erzählt aber nur noch ein alter Safran-Birnbaum, der
1652 hier zur Eröffnung des Gartens gepflanzt wurde und der aufgrund von
Blitzeinschlägen und Stürmen heute aufwändig abgestützt die Vergangenheit
"hochhalten" soll. In dieser Oase könnte man schon einen halben Tag
verbringen. Gelegenheiten gibt es genug: Die vielen historischen Gebäude,
zwei Museen und auch die Fußgängerzone ist nicht weit.
Ein letzter Blick auf den Tafelberg, dann bringt uns
Freddy mit dem Bus zum Airport.
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