RT-Tour de France Alpes 3(4)

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Sonntag, 21.07.02: Bonette und Grand Canyon du Verdon

Nach 5 Minuten befinden wir uns bereits in Jausiers. Von hier aus bis St. Sauveur sind es 94 km, für die wir rund 4 Stunden (incl. Pausen) benötigen sollten. Hier beginnt unser Aufstieg auf die höchste asphaltierte Paßstraße der Alpen.

Die Rampe zum Bonette ist nagelneu, fast noch zu neu, um mal richtig flott zu fahren. Aber hier gibt es 2 Dinge, die uns daran gehindert haben, das zu tun. Erstens ist die Landschaft, die in einem kleinen Canyon beginnt, dann flacher wird und zuletzt immer höher ansteigt und dabei immer karger wird, einfach ein besonderer Genuss. Und zweitens zieht dieser Pass so viele Radfahrer an, dass es in so mancher Kurve echt eng wird.

Auf dem Weg nach oben sehen wir Ruinen aus napoleonischer Zeit, alte Militärbunker, vor deren Betreten eindringlich gewarnt wird. Einige Bergspitzen beginnen bereits unter unserer Höhe zu liegen, da liegt die Kuppe des Bonette vor uns: Wie ein (Vulkan-) Kegel, braun, staubtrocken und hoch, verdammt hoch! Die Passhöhe befindet sich auf ca. 2700 m. Während des Aufstiegs begleitet uns ein französisches Biker-Paar mit einer nagelneuen 1150er RT, das ich spontan fotografiere und mit dem wir auf der Passhöhe ins Gespräch kommen. Sie kommen aus Evian-les-Bains am Genfer See, also etwa da, wo unsere Tour begann, und sie sind das erste Mal in den französischen Alpen. Wer hätte das gedacht?

Dear Christian, I hope you will read these lines next time and you will remember the very good conversation we had on "your" Col de la Bonette. My pictures of the Bonette are dedicated to you! I'm looking forward to meeting you "sometime and somewhere" in the Alpes.

Vom Sattel aus fährt man, jetzt allerdings über eine sehr schlechte, fast Schotterstrecke zu nennende "Straße", die sich in einem Rundbogen um diese Kuppe herum bis auf die Höhe von 2802 Metern schraubt. Hier kann man sein Motorrad abstellen und noch einmal 50-100m Höhe gewinnen, indem man die letzten Meter zu Fuß geht. Leider haben wir, das einzige Mal in dieser Woche, einige dunkle Wolken am Himmel, die ein scharfer Wind vor sich her treibt, so dass wir nach einer 3/4 Stunde weiterfahren. Übrigens: Ab hier ist Nizza beschildert.

In St. Sauveur sur Tinée fahren wir aus Versehen an unserem Abzweig vorbei, der sehr schlecht ausgeschildert ist. Auch ein anderer Biker, den wir später treffen sollten, ist hier geradeaus gefahren. Aber das, was wir auf diesen paar Metern sehen, ist genau so grandios wie das, was nun folgen sollte.

Die Daluis- und Cians-Schluchten zählen laut Denzel zu den "kuriosesten Alpenstrecken". Sie gehören zweifellos zu den sehenswertesten Canyons der gesamten Alpen und werden nur an Größe vom Grand Canyon du Verdon übertroffen, nicht aber an landschaftlicher Schönheit und atemberaubender Kühnheit der Felsformationen. Man sollte auf jeden Fall beide befahren, denn ihr Charakter ist komplett diametral: Einmal befindet sich die Straße in den Felsen hoch über dem Tal, im anderen Fall türmen sich die Felswände hoch über uns zusammen, so dass oben nur noch ein kleiner Felsspalt bleibt. Das Bergdörfchen "Roubion", das  zwischen St. Sauveur und Guillaumes liegt, beeindruckt mich besonders. Es ist wie ein Schwalbennest an den Berg "geklebt". Dieser Anblick ist so faszinierend, dass wir an dieser Stelle eine längere Pause machen.
 


 


 

Hier treffen wir auch einen Schweizer, der schon seit 2 Wochen ganz allein mit seiner Virago durch die Alpen fährt. Er ist ein lustiger Kerl und erzählt uns von seinen Abenteuern des "Free-Camping". Lauthals lachen mussten wir, als er in süßem Schweizerdeutsch erzählt, wie er einmal in Holland im Dunkeln sein Zelt auf einer "schönen Rasenfläche mit einem kleinen Wäldchen" aufgestellt hat und morgens merkte: "Ja, da war das ein Verteilerkreisel, oderrr?" Aber ich fürchte, das ist nur witzig, wenn man es erlebt hat...
 

Ich könnte nun die Strecke bei Valberg noch besonders betonen oder das Bungee-Jumping im Daluis-Canyon oder das niedliche kleine Städtchen Castellane, in dem wir heute übernachten. Es ist alles einen Besuch wert.

Aber auf eine Schlucht sollte man auf gar keinen Fall verzichten: Den Grand Canyon du Verdon. Dieser große Canyon des Flüsschens Verdon ist die "gewaltigste Schlucht in Europa" (Denzel). Auf der 21 km langen Schluchtstrecke fließt das Wasser zwischen senkrechten, zum Teil 800 m emporragenden Felswänden hindurch. An manchen Stellen sind diese hohen Wände nur 15 m auseinander!!! Und am Ende der Schlucht mündet der Fluss ganz harmlos in einem türkisfarbenen See. Ich glaube, es ist fast egal, in welcher Richtung man den Canyon umrundet. Wahrscheinlich würde ich das nächste Mal den Uhrzeigersinn bevorzugen. Aber wie auch immer: Er ist ein phantastisches Abenteuer. Und nach diesem Erlebnis und 330 fantastischen km heute schmeckt uns das Bier im Biergarten des Hotels ganz besonders gut.
 

Montag, 22.07.02: Col de la Cayolle und die Route Napoléon

Obwohl es gestern nicht nur wegen der großen Hitze (in den Canyons zeigte mein Thermometer an mehreren Stellen 35 Grad) anstrengend war, können wir es heute morgen nicht lassen, nun auch noch eine Stippvisite zum Mittelmeer zu unternehmen. Castellane - Grasse - Cannes und zurück: 176 km und vier Pässe (jeweils zweimal) und  3 Stunden später sind wir wieder da und setzen unsere planmäßige Tour fort.

Auf Anraten des Hoteliers nehmen wir den Col de la Cayolle anstatt des Col d'Allos. Die Südrampe ist eine Katastrophe. Sehr schlechte Straße und (wen wundert's?) viele Baustellen. Ganz anders die Nordrampe! Es geht wie schon so oft an einem Gebirgsbach entlang ins Tal. Vorbei an hohen Felswänden, die wie Kreidefelsen aussehen. Teilweise ist die Straße in den Felsen hinein gehauen. Hier empfehle ich, lieber die Nordrampe zweimal zu fahren als über den Sattel hinweg auf der anderen Seite wieder ins Tal. Wir haben hier einem französischen Paar mit seinem Reifenschaden zurecht geholfen und sie mitgenommen bis nach Barcelonnette. Daher gibt es (leider!) von der grandiosen Felslandschaft der Nordrampe keine Bilder.

Aber die weitere Strecke reißt uns nach dem gestrigen Tag nicht mehr vom Hocker. Schön, aber in sengender Hitze von knapp 40 Grad, war die Runde um den Lac de Serre-Poncon, der (ebenfalls türkisfarben) zwischen sanften Hügeln eingebettet ist. Ein paar nette Kurven und fast immer den Blick auf den See. Die weitere Strecke über Gap nach La Mure aber ist eher langweilig und trist. Auch der Col Bayard ist völlig unspektakulär. Die Passhöhe nimmt man kaum wahr. Das tolle am Col d'Ornon ist, dass hier morgen die Tour de France hinaufgeht und hier schon richtig was los ist.

Aber erst der Col de la Croix de Fer ist wieder richtig erwähnenswert. Die Straße ist schmal, aber von sehr guter Oberfläche und extrem übersichtlich. Da es schon recht spät (18 Uhr) und kaum noch jemand unterwegs ist, können wir hier mit schlappen 100 km/h hinaufgeigen - echt gut!
 


 

Die Straßenführung geht erst durch Wald, später scheint sie dann an Felsen angeheftet zu sein, bevor oben alles in ein kurzes grünes Moos übergeht. Es sieht aus wie grüner Samt und erinnert ein wenig an das nordenglische und schottische Hochland. Eine ganze Zeit halten wir uns hier noch auf, fast andächtig, so bezaubernd wirkt diese Landschaft in der untergehenden Sonne.

Und unser Mut, so lange mit der Hotelzimmersuche zu warten, wird auch noch belohnt. In dem kleinen Wintersportort St. Sorlin belegen wir im Hotel "Beau Soleil" zwei prima Zimmer für ganze 38€: Das bisher beste Preisleistungsverhältnis. Zum Vergleich: In Val d'Isère haben wir für ein halb so gutes Zimmer doppelt so viel bezahlt. Nach 388 km haben wir auch ein gutes Hotel verdient.
 

 

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