Korsika 5(7)


Samstag, 25.05.02: Meine erste Reifenreparatur on the road.

Seit ich 16 bin, fahre ich nun Motorrad, aber einen Platten hatte ich noch nie. Und das in dieser Einsamkeit, in der alle halbe Stunde mal ein Fahrzeug vorbeikommt. Und das Reparatur-Set von BMW kenne ich nur aus der Theorie. Dummerweise sind wir im Moment in einer recht einsamen Gegend unterwegs. In der letzten Stunde haben wir vielleicht 3 Motorräder gesehen. Es gelingt gerade noch, die ausrollende RT von der Straße weg auf eine kleine Lichtung 20 m von der Straße entfernt zu fahren. Dann ist Schluss.

Erst mal alle Koffer abnehmen und nach dem Reparatur-Set fahnden. Ok, das ist schon mal da, wo es sein soll. Sogar mit Bedienungsanleitung. "Alles klar!", denke ich - oder nicht? Na ja, fast alles. Mir ist nicht so ganz klar, wie dieses große "Gummi-Teil", von dem ich 3 Stück habe, in das kleine Loch passen soll. Apropos Loch! Das müssen wir mal als erstes finden. Das ist aber nicht so schwer. Es gibt auf der Lauffläche nur eine Macke, durch die Luft entweichen könnte und wenn ich es mit der Ahle etwas entfalte, dann zischt es.

Plötzlich aufhorchen: Ist da nicht ein Mopped im Anflug? Nein, es war nur ein Auto. Also weitermachen. Als erstes das Loch richtig aufrauen. Ein komisches Gefühl ist es schon, mit der Ahle im Reifen herum zu stochern. Dann die Ahle mit dem blauen Zeug (ich nehme an, es ist eine Art Gummilösung) bestreichen und im Loch richtig an den Rändern verteilen.

Dann, streng nach Anweisung, dieses Gummiteil in die Ahle einklinken und ebenfalls mit der Paste "großzügig" (laut Anweisung) bestreichen.

In diesem Moment höre ich ein Motorrad. Eindeutig - ein Boxer! Und nur wenige Sekunden später steht ein GS-Fahrer mit seiner nagelneuen GS-Adventure vor uns. Nach einem "Hallo!" entfährt mir sofort die in diesem Moment für mich wichtigste Frage: "Hast Du schon mal einen Reifen geflickt?" Die sehr beruhigende Antwort "Ja! - Zweimal!" verfestigt meine Hoffnung, dieses Problem mit Erfolg zu lösen.

 

 

 

 

 

 

Uwe, so heißt der nette Mensch, nimmt mir sofort die Ahle aus der Hand und los geht's. Aber auch ihm passiert das, was ich schon vorher befürchtet hatte und was mir garantiert auch passiert wäre (weil ich dachte, das ganze Teil muss in den Reifen), nämlich dass dieses Gummiteil reißt. Beim zweiten Versuch klappt es aber. Das Teil ist genau halb drin, die nach außen stehende Hälfte schneide ich mit dem zum Reparatur-Set gehörenden Messer ab.

Wir warten einige Minuten, bis sich die Gummilösung gesetzt hat. Uwe erzählt uns, wo er herkommt, auf welchem Campingplatz er sein temporäres "Zuhause" hat und dass er seine GS fast am selben Tag gekauft hat wie ich meine RT. Danach drehe ich nacheinander alle drei CO2-Patronen auf  den Adapter. Mit einem Handschuh, weil die Dinger sofort eiskalt werden und dann die Haut daran kleben bleibt. So wird mit einem vernehmlichen Zischen aus einem platten Pneu wieder ein fahrbarer Reifen.

Wenn Uwe nun gesagt hätte: "OK, Leute, nun braucht Ihr mich ja nicht mehr und könnt wieder weiterfahren!", hätte ich das vollkommen in Ordnung gefunden. Aber nein, er besteht darauf, auch noch bis zur nächsten Tankstelle (in Ajaccio!) mitzufahren, um zu sehen, ob der Reifen auch hält und 3 bar aufnimmt.

Er nimmt meine Frau auf seiner GS mit und wir fahren los. Mit 70 km/h natürlich nur. Es sind ca. 15 km bis zum Flughafen Ajaccio, in dessen Nähe es eine große elf-Tankstelle gibt. Dort verabschieden wir uns. Vielleicht hätte ich es auch alleine geschafft, aber mit Uwes Hilfe ging es schneller und sicherer.

Lieber Uwe, Herzlichen Dank noch mal für Deine Hilfe!

 

Anschließend überlegen wir, was wir nun machen sollen. Der Tankwart, der kein Wort Englisch redet, nimmt uns jegliche Hoffnung, am Samstag-Abend um 17 Uhr noch einen Motorradreifen aufgezogen zu bekommen. "Lundi, Lundi" (also Montag) ist eines der wenigen Worte, die wir sofort verstehen. Was wir auch noch verstehen, ist, dass es in ca. 5 km in Richtung Bastia eine andere elf-Tankstelle gibt, die Reifen verkauft, aber ob die noch offen ist...? Und ob die Motorradreifen hat...?

Wir haben keine Wahl. Der Versuch ist es wert. Wir fahren hin, finden die Tankstelle und tatsächlich auch einen Mechaniker, der noch kräftig bei der Arbeit ist - am späten Samstagnachmittag um 17 Uhr!!! Natürlich spricht auch er kein Englisch (aber italienisch!) und so kramen wir unsere letzten Französisch-Kenntnisse hervor. So wird aus einem kaputten Reifen ein "Pneu malade" (ein "kranker" Reifen) und so weiter - aber er versteht uns! Allerdings Hoffnung macht er uns keine. Er hat gar keine Motorradreifen, verstehen wir. Na ja, und außerdem sei heute Samstag. Ja, am Montag könne er ja mal telefonieren, wo wir evtl. einen Reifen bekommen könnten. In meinen Gedanken wird die restliche Korsika-Reise schon zum "Reifen-Such-Event".

Wieder stehen wir da und überlegen erneut, was wir nun tun sollen, den Monteur haben wir schon halb vergessen. Plötzlich kommt er noch mal zwischen 2 Autos herbeigelaufen und schaut genau auf meine Reifenbezeichnung. Wir sehen ihm verdutzt hinterher, wie er in seinem Reifenlager verschwindet und hören plötzlich ein lautes Jubeln aus der Reifenhalle. Mit einem Dunlop "D207" statt eines "D205F", aber exakt der richtigen Reifengröße 170/60 ZR17 kommt er wieder.

Das muss man sich mal vorstellen: Ein Reifenlager mit Hunderten von Autoreifen und einem einzigen Motorradreifen, und der hat genau die Größe, die wir brauchen. Das fand selbst der Monteur zum Gackern. Ständig grinste er uns an und gestikulierte wild in der Gegend herum, was er für'n tollen Job gemacht hat - hat er aber auch!

Ich überlege keinen Moment. Wenn die Reifengröße passt, ist mir heute das Profil völlig egal. Also, an die Arbeit. Zunächst die 4 Radbolzen mit dem Schlagschrauber lösen, dann die beiden Schrauben des Bremssattels. Also den Bremssattel herunternehmen und daneben hängen (das ist übrigens ein Nachteil gegenüber der 1100 RT, bei der der Bremssattel nicht gelöst zu werden braucht). Nun vorsichtig das Rad herausnehmen. Es ist sehr eng zwischen Kardan und Auspuff, aber es geht (natürlich).

Anschließend montiert der Mechaniker den neuen Reifen. Er nimmt sich sehr in acht mit meiner neuen Felge und macht das alles sehr vorsichtig. Nur auswuchten will (oder kann) er es nicht. "Voiture seulement - non moto", ist seine Antwort, er wuchtet also nur Autoreifen aus. OK, dann eben mit einem unausgewuchteten Rad. Das ist mir nun auch noch egal, hier auf Korsika kann man sowieso fast nirgendwo 100 fahren, insofern kaum relevant. Nur noch ein paar Handgriffe, dann bin ich fertig.

Dann schiebe ich die RT aus der Sonne heraus in den Schatten. Dort steht auch ein Tisch mit 3 Stühlen, wo wir uns an dem Rest Wasser gütlich tun und ich meinen Stress abbaue, der nun endlich komplett nachlässt. Ich bezahle an der Kasse und wundere mich über den passablen Preis von 143 €. Der Monteur kriegt sich gar nicht wieder ein über die 10 € Trinkgeld, die ich ihm gebe.

 

Mein Fazit:

Ich hatte diesem BMW-Reparaturset außer seiner Existenz bisher keine Beachtung geschenkt, ja nicht einmal Chancen eingeräumt, seinen Zweck zu erfüllen - und bin eines besseren belehrt worden! Nach dieser Erfahrung kann ich nur jedem raten: Unbedingt mitnehmen. Es kann ein paar Urlaubstage retten!!!
 

 

   Übersicht