Der Gimli-Glider 2(5)

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Ein klein wenig Segel-Theorie

Die Flugfähigkeit von Seglern wird angegeben durch das Verhältnis von zurückgelegter Strecke zu der zur Verfügung stehenden Flughöhe. Man nennt das die Gleitzahl:

Gleitzahl = Distanz / Höhe

Ein Segelflugzeug, das für den Gleitflug konstruiert wurde, hat eine Gleitzahl von ca. 60. Das heißt, für jeden Meter, den das Flugzeug sinkt, kann es 60 m weit fliegen.

Die meisten kommerziellen Flugzeuge haben heute eine Gleitzahl von etwa 15. Das bedeutet, dass ein Jet in 10.000 Metern Höhe rund 150 km weit segeln kann - unter halbwegs normalen (Wind-) Bedingungen. Das wiederum heißt, dass (je nach erreichter oder gewollter Sinkrate) das Flugzeug noch 20-30 Minuten in der Luft bleiben kann. Beispiel: Bei angenommenen 41.000 ft Höhe und einer Sinkrate von 1.500 ft/min heißt das noch 27,5 min Flugzeit. Bei 2.000 ft/min sind es allerdings nur noch gut 20 Minuten.
 

Was bedeutete das für unseren Flug AC 143?

Nach dem Ausfall beider Triebwerke fiel neben der Elektrik auch der hydrostatische Druck zur Steuerung der Ruder schnell ab, und das Flugzeug drohte unsteuerbar zu werden. Doch für diesen (unglaublich unwahrscheinlichen) Fall hatten sich die Boeing-Ingenieure für Maschinen des Typs 767 noch einen "Rettungsanker" ausgedacht: Die RAT (Ram Air Turbine), eine Stauluftturbine (eine Art Windrad), die bei Stillstand der Triebwerke automatisch aus dem Rumpf des Flugzeugs herausfährt. Diese Turbine betreibt einen kleinen Generator, dessen Strom gerade ausreichend ist, um die wichtigsten Instrumente zu speisen und Druck im Hydrauliksystem aufzubauen. So können die Steuerklappen an Tragflächen und Heck bewegt werden. Aber nur die! Die Flaps, die speed-brakes und auch der reverse-thrust stehen nicht mehr zur Verfügung.

Dieser Propeller erhöht aber natürlich auch den Luftwiderstand, so dass eine Gleitzahl von 15 für unseren Flieger unrealistisch wurde. Später errechnete man, dass Pearson eine Gleitzahl von 11,1 erreicht hatte, was unter den vorliegenden Randbedingungen eine perfekte Leistung ist. Unsere Boeing 767 konnte also für jeden Kilometer, den sie an Höhe verliert, gute 11 Kilometer im Gleitflug zurücklegen, was bedeutete, dass sich die Maschine noch maximal 15 Minuten lang in der Luft halten konnte. Der Jet hätte also noch 35.600 ft hoch sein müssen, um Winnipeg Airport zu erreichen.

Während der Captain die Boeing 767 im Segelflug über das weite kanadische Binnenland dahingleiten ließ, suchte der erste Offizier in seinen Handbüchern und Manuals nach einer Prozedur für die Landung ohne Triebwerke. Es gab aber keine. Kein Pilot hat je eine 767 im Gleitflug geflogen - nicht einmal im Simulator! Dann verschwand die B767 von den Radarschirmen der Fluglotsen, und die dachten schon, sie hätten gerade ein Flugzeug verloren. Aber das war nicht der Fall. Es war lediglich mangels Strom der Transponder ausgefallen. Auch hier half wieder ein Zufall mit - diesmal aber positiv. Die Lotsen hatten noch ein altes (Primär-) Radarsystem (reine Reflexion ohne Transponder) in Betrieb, mit dem sie die Maschine wieder aufspürten.
 

Außerdem dachten sie zusammen mit Quintal über verschiedene Landemöglichkeiten nach. In dieser Situation fiel unserem ersten Offizier plötzlich ein, dass es hier in der Nähe einen alten stillgelegten Militär-Airport geben musste, auf dem er seinen Militärdienst verrichtet hat: Gimli. Aber auf keinem dieser Ausweichplätze gab es die für eine Crashlandung notwendigen Rettungssysteme. Während dieser ganzen Diskussion mit den Lotsen hatte Pearson seine 767 auf einer Geschwindigkeit von 220 kn und einer Sinkrate von 2.000 - 2.500 ft/min eingependelt.

Nun kam der nächste Schock: Quintal und die Fluglotsen stellten fest, dass der Flughafen Winnipeg mit diesen Flugdaten nicht erreichbar war, die 767 sank einfach zu schnell. Es gab nur noch eine Chance: Der ehemalige königlich-kanadische Luftwaffenstützpunkt Gimli am Westufer des Winnipeg-Sees. Er war nur 12 Meilen entfernt. Natürlich gab es weder in Quintal's Manuals Informationen über die beiden Runways, noch wussten die Lotsen, wie die beiden Landebahnen beschaffen sein würden. Sie konnten ebenso gut auch verwüstet sein! Man wusste nur, dass es 2 Landebahnen (32L und 32R) gab und dass die Runways nur rund 6.800 Fuß lang waren; es würde also auf jeden Fall sehr knapp werden. Darüber hinaus entschieden sich Pearson und Quintal aus Unwissenheit über die realen Verhältnisse für die Runway 32L, die nicht mehr in Betrieb war, während die rechte Bahn 32R noch immer für Starts und Landungen benutzt wurde. Pearson zögerte keinen Moment und drehte die Maschine wieder nach Norden.
 

 

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