Der Gimli-Glider 1(5)

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Die Geschichte vom Gimli-Glider

Kann ein 156 Tonnen schweres Flugzeug segeln? Diese Frage wurde spätestens am 23.07.1983 durch die phantastische Leistung zweier Piloten der Air Canada eindrucksvoll beantwortet: Ja - es kann, und wie!

Und im Gegensatz zu einem Hubschrauber, der eigentlich gar nicht fliegen "will" und nur durch ein kompliziertes Gleichgewicht der Kräfte in der Luft gehalten wird, kann ein Passagierflugzeug ziemlich gut und erstaunlich lange segeln und auch landen. Im Jahr 2003 wurde das 20jährige Jubiläum dieser grandiosen fliegerischen Leistung gefeiert.

Dieses ist die Geschichte des Seglers von "Gimli", einer kleinen Stadt am südlichen Teil des Winnipegsees in Kanada. Es hätte leicht eine Absturzkatastrophe mit 69 Toten (61 Passagiere und 8 Crew-Mitglieder)  werden können, aber aufgrund der fliegerischen Glanzleistung der Piloten kam niemand zu Schaden. Was war passiert?

In Kurzform:

  • Auf halber Flugstrecke (nach ca. 777 nm von insgesamt 1.554 nm) zwischen Ottawa und Edmonton ging dem Flugzeug der Treibstoff aus; es wurde unbeabsichtigt zum teuersten Segelflugzeug der Welt.
  • knapp 20 Minuten Zeit blieben den Piloten, um eine Lösung für das Problem zu finden, im kanadischen Manitoba, weit weg von jeglichen Großflughäfen, eine Boeing 767 sicher auf die Erde zu setzen.
  • Sie fanden eine Lösung: Ein stillgelegter ehemaliger Militärflughafen in Gimli.
  • Zwar fand an diesem Samstag auf dem Rollfeld ein Kart-Rennen statt, aber die Menschen konnten die Rennbahn/Landebahn gerade noch rechtzeitig verlassen.
  • Das Hauptfahrwerk hielt, jedoch war das Bugrad nicht richtig eingerastet, und die Maschine raste viele hundert Meter auf der "Nase" über den Asphalt, bevor sie zum Stillstand kam.
  • Niemand wurde ernsthaft verletzt.

Hier erzähle ich die Geschichte ausführlich:
 


Bilder Simulation

 

 


Route AC 143

23. Juli 1983: Flug Air Canada Nr. 143 von Montreal via Ottawa nach Edmonton

Die Probleme unserer Boeing 767 begannen eigentlich schon auf dem Boden des internationalen Flughafens von Montreal. Der "Fuel Quantity Information System Prozessor", der die Treibstoffpumpen sowie die Anzeigen im Cockpit der 767 steuert und überprüft, arbeitete nicht richtig. Ein Sensor war defekt, wie sich später herausstellte.

Um sicherzugehen, dass richtig betankt wurde, benutzte die Wartungscrew nun ein händisches Verfahren, um die Kerosinmenge auszurechnen. Es schien alles in Ordnung. Captain Bob Pearson und sein erster Offizier Maurice Quintal, die darüber natürlich informiert waren, benutzten daraufhin ebenfalls diese Methode, obwohl sie in der Anwendung nicht explizit ausgebildet waren. Sie rechneten dreimal und jedes Mal verwendeten sie den Faktor von 1,77 pounds pro Liter Kerosin (1 pound ist rund 0,45 kg) für das spezifische Gewicht des Treibstoffs. Aber die nagelneue B767, die bereits in allen technischen Details die metrischen Meßsysteme verwendet, braucht den Faktor 0,8 kg pro Liter. Mit dieser Situation startet unsere Maschine von Montreal nach Ottawa, die sehr kurze Distanz von nur rund 150 km.
 

Die B767

In Ottawa sicher gelandet, bestand Pearson darauf, dass die Treibstoffberechnung ein weiteres Mal durchgeführt werden sollte. Die Bodencrew berichtete ihm, dass sich 11.430 Liter Treibstoff an Bord befinden. Auch er selbst rechnete noch einmal. Aber auch bei dieser Rechnung verwendete er den falschen Faktor von 1,77. Er kommt also auf 20.231 kg. Natürlich gab er diesen Wert auch in seinen FMC (Flight Management Computer) ein. Er hätte aber mit dem Faktor 0,8 rechnen müssen, was ein Gewicht von 9.144 kg ergeben hätte (knapp die Hälfte der Menge Treibstoff, die er bis Edmonton benötigen würde!). Weder die Bodencrew noch die Piloten hatten sich Gedanken über die Einheit des Rechenfaktors gemacht. Sie hatten einfach nur multipliziert. So nahm das Schicksal seinen Lauf.

Gegen 19 Uhr Ortszeit (UTC 23:00) hebt die Maschine in Ottawa ab. Ohne Probleme erreichte sie die Flughöhe von 41.000 feet und einer Groundspeed von 470 Knoten. Aber unsere zweistrahlige Boeing 767, die ca. 240 Sitzplätze und eine Reichweite von über 10.500 km hat, sollte nicht an ihrer Destination ankommen.

Kurz nach 20:00 Uhr Ortszeit (UTC 01:00) meldete sich das bis dahin noch nicht als solches erkannte Problem. Das Flugzeug hatte zu diesem Zeitpunkt etwa die Hälfte seiner Reise hinter sich und befand sich kurz hinter der Grenze zwischen Ontario und Manitoba (in der Nähe des VOR YRL "Red Lake") kurz vor dem Erreichen des Winnipegsees, als das linke Triebwerk ausfiel. Die Piloten glaubten, dass sie ein Problem mit der Kraftstoffpumpe in der linken Tragfläche hätten und schalteten sie aus. Laut Manual kein Problem! Schließlich zeigte der FMC ausreichend Treibstoff an. Und obwohl jedes Flugzeug heute so konstruiert ist, dass es auch mit nur einem Triebwerk fliegt, beschlossen die Piloten, aus Sicherheitsgründen den nächsten Flughafen anzusteuern: Winnipeg Intl. Sie baten den gerade zuständigen Fluglotsen um eine "emergeny clearance" und um einen direkten Anflug von Winnipeg.

Den erhielten sie auch prompt und begannen mit dem Sinkflug hinunter auf FL 280. Gleichzeitig begannen die Piloten mit der Vorbereitung der Procedure "One Engine Landing". Kaum waren sie damit fertig, wurde ihr Problem in voller Größe sichtbar: Auch das rechte Triebwerk fiel nun wegen Kraftstoffmangels aus. Das EICAS ( Engine Instrument and Crew Alerting System) gab noch einen lauten Gong von sich und meldete sich anschließend ins "Nirwana" ab: Um exakt 20:21 Uhr Ortszeit (01:21 UTC) wurde der 40 Millionen-Dollar-Jet in einer Höhe von 28.500 ft und einer Entfernung von rund 65 Meilen bis Winnipeg zu einem Segelflugzeug.

Die APU (Auxiliary Power Unit), also das Hilfsaggregat zur Stromerzeugung, war keine Hilfe, da es ebenfalls aus den Treibstofftanks gespeist wird. Nicht einmal eine Minute später wurde es dunkel im "gläsernen Cockpit", so nannte man das damals noch ungewöhnliche Bildschirm-Cockpit anstelle von mechanischen Instrumenten. Pearson und Quintal hatten nur noch 4 Instrumente zur Verfügung:

  • den magnetischen Kompass,
  • den künstlichen Horizont,
  • den Geschwindigkeitsmesser (Airspeed) und den
  • Höhenmesser.

Die für einen Segler elementare Anzeige für die Vertikal-Speed hatten sie nicht (mehr).

 

 

  

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